Chronische Prostataentzündung und Beckenbodenmyalgie

Chronische Prostataentzündung (chronische Prostatitis): Sammelbegriff für Beschwerden im Bereich der Prostata und des benachbarten kleinen Beckens. Häufigste urologische Diagnose bei Männern unter 50 Jahren, stellt jedoch – trotz ähnlicher Beschwerden – kein einheitliches Krankheitsbild dar. Unterschieden wird zwischen der chronisch bakteriellen (10 %) und chronisch abakteriellen Prostataentzündung (90 %), wobei letztere immer häufiger als (abakterielles) chronisches Beckenschmerzsyndrom bezeichnet wird. Aber die Ursachen für die Schmerzen können möglicherweise auch außerhalb der Prostata liegen. Und, um die Verwirrung komplett zu machen, unterscheiden die Mediziner beim (abakteriellen) chronischen Beckenschmerzsyndrom wiederum zwischen einer Form mit nachweisbaren entzündlichen Veränderungen der Prostata – jedoch ohne eindeutigen Bakteriennachweis – und einer nichtentzündlichen Form, der so genannten Beckenbodenmyalgie (Beckenbodenschmerzsyndrom, [vegetatives] Urogenitalsyndrom, Prostatadynie, Prostatapathie, anogenitales Syndrom). Wie häufig die Beckenbodenmyalgie vorkommt, ist umstritten, für viele Autoren stellt sie die häufigste Einzelursache der chronischen Prostataentzündung dar.

Leitbeschwerden

  • Wechselnd starke (fluktuierende) Schmerzen in der Genital-, Damm- und Analregion
  • Manchmal gestörtes Wasserlassen, z. B. schwächerer Harnstrahl
  • Abnahme des sexuellen Interesses und Störungen von Erektion und Ejakulation
  • Unfruchtbarkeit

Die Erkrankung

Chronische Prostataentzündung. Die chronisch bakterielle Prostataentzündung ist oft Folge einer nicht vollständig ausgeheilten akuten Prostataentzündung. Infiziertes Prostatasekret sammelt sich in den Prostatagängen, und es bilden sich Prostatasteine, an denen Bakterien haften. Wahrscheinlich werden diese Bakterien nicht ausreichend von Antibiotika erreicht und werden deshalb zur Ursache für den chronischen Zustand der Entzündung.

(Abakterielles) chronisches Beckenschmerzsyndrom. Die Ursachen des (abakteriellen) chronischen Beckenschmerzsyndroms sind bisher nicht eindeutig geklärt. Bei der entzündlichen Form vermutet man als Auslöser entweder eine Reizung der Prostata durch den sauren und aggressiven Urin, z. B. durch eine zeitweise vermehrte Ausscheidung von Harnsäurekristallen, oder durch spezielle Bakterien, die mit den herkömmlichen Methoden aber nicht nachweisbar sind – diese Unsicherheit zeigt das in Klammern stehende „abakteriell“ auf.

Beckenbodenmyalgie. Bei dieser Form der chronischen abakteriellen Prostataentzündung gehen neuere Theorien davon aus, dass sie – zumindest teilweise – durch Muskelverspannungen (Tender Points) im Beckenbereich entsteht oder durch ein Schmerzsyndrom in der Nähe der Wirbelsäule. Dazu passt, dass sich kein krankhafter Befund an der Prostata ausmachen lässt. Auch psychische Veränderungen spielen bei diesem Krankheitsbild eine Rolle – ob sie aber die Ursache der oft sehr belastenden Beschwerden sind oder nicht vielmehr die Folge, lässt sich derzeit nicht eindeutig klären. Stress scheint immerhin zur Ausprägung einer Beckenbodenmyalgie beizutragen, denn die Beschwerden bessern sich, wenn der Patient Entspannungsverfahren praktiziert wie Yoga, Autogenes Training oder die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson.

Das macht der Arzt

Diagnosesicherung. Das diagnostische Programm bei einer vermuteten chronischen Prostataentzündung ist umfangreich:

  • Am Anfang stehen neben Anamnese und Prostata-Tastuntersuchung die Dreigläserprobe, um eine bakterielle Entzündung der Prostata ausschließen zu können, sowie der Bauchultraschall mit Restharnmessung und der transrektale Ultraschall.
  • Im zweiten Schritt folgen Harnstrahlmessung, Urodynamik und eine Röntgenaufnahme der Harnwege (Ausscheidungsurogramm).
  • In manchen Fällen, insbesondere wenn diese Untersuchungen unklare Ergebnisse liefern, rät der Arzt gegebenenfalls zu Blasenspiegelung oder Enddarmspiegelung.

Analog zur Reizblase bei der Frau ist die Diagnose der Beckenbodenmyalgie eine Ausschlussdiagnose. Der Arzt prüft zunächst, ob die Beschwerden des Patienten eine organische Ursache haben, ob also ein messbarer krankhafter Befund vorliegt wie z. B. Veränderungen im Enddarm. Erst wenn dies eindeutig nicht gegeben ist, wird er die Diagnose „Beckenbodenmyalgie“ stellen.

Therapie. Chronisch bakterielle Prostataentzündung. Entsprechend dem Befund an Bakterien verschreibt der Arzt ein Antibiotikum, das über vier bis sechs Wochen eingenommen werden muss, um die chronische Entzündung zu heilen.

Entzündliche Form des chronischen Beckenschmerzsyndroms. Sie steht zwischen der chronisch bakteriellen Prostataentzündung und der Beckenbodenmyalgie. Zumindest zu Beginn der Erkrankung kann der Arzt eine bakterielle Beteiligung nicht sicher ausschließen, weshalb auch hier ein Behandlungsversuch mit einem Antibiotikum über zwei Wochen gerechtfertigt ist. Sollte dies die Beschwerden des Patienten mindern, wird die Antibiotikatherapie für weitere vier bis sechs Wochen fortgesetzt. Wenn gesichert ist, dass die Beschwerden durch Harnsäurekristalle im Urin ausgelöst werden, wird der Arzt Allopurinol (Zyloric®) über mehrere Monate verschreiben: Es verringert die Anhäufung von Harnsäure im Blut und damit die Bildung der Kristalle. Wenn alle möglichen Therapieansätze nicht helfen, kann bei starken Beschwerden und nachgewiesener Entzündung eine transurethrale Mikrowellenbehandlung der Prostata (TUMT), in einigen Fällen die Transurethrale Resektion der Prostata (TUR-P) zur Beschwerdefreiheit führen.

Beckenbodenmyalgie. Die Behandlung ist insgesamt langwierig, da jeder Patient unterschiedlich schnell und gut auf die Therapie anspricht. Wichtig ist deshalb, dass Arzt und Patient ausreichend Geduld aufbringen. Da gesicherte Erkenntnisse und einheitliche Behandlungsstandards fehlen, geht jeder Arzt das Problem auf seine Art an. Allen gemeinsam ist jedoch, dass verschiedene Therapieansätze erprobt werden – in der Hoffnung, dass irgendwann eine der Therapiemöglichkeiten die erhoffte Linderung der Beschwerden bringt. Die folgende Zusammenstellung ist deshalb weder vollständig noch allgemein verbindlich:

  • Ist der Urinstrahl abgeschwächt oder muss der Patient häufig Wasserlassen, kann der Arzt ähnliche Medikamente verordnen wie bei der Prostatavergrößerung: Zunächst pflanzliche Mittel wie z. B. Prostagutt®, falls diese keine Besserung bringen, verschreibt er Alpharezeptorenblocker wie Alna® oder Omnic® – vor allem, wenn ein verengter Blasenauslass (Blasenhalsenge) gegeben ist.
  • Steht der Harndrang im Vordergrund, so wird der Arzt ein anticholinerges Medikament wie z. B. Mictonorm® oder Spasmex® empfehlen.
  • Blasenbeschwerden werden bei manchen Patienten durch Antidepressiva wegen ihrer Wirkung auf den Blasenschließmuskel gelindert.
  • Beckenschmerzen können durch entzündungshemmende NSAR oder ein Muskelrelaxans (z. B. Lioresal®) zur Entspannung der Muskeln gelindert werden.

Treten die Beschwerden vermehrt bei Kälte auf, hilft Wärme – oft genügt ein warmes Bad.

  • Die Beschwerden bessern sich oft auch nach wiederholten Prostatamassagen, vermutlich über einen dadurch verbesserten „Abfluss“ von z. B. entzündungsauslösenden Substanzen.
  • Steht die psychische Problematik im Vordergrund, empfiehlt sich grundsätzlich eine Psychotherapie.

Selbsthilfe und Vorbeugung

Um ein erneutes Aufflammen der Beschwerden zu vermeiden, gilt es, einige Regeln zu beachten:

Kältereize vermeiden. Jede Auskühlung im Beckenbereich ist ein starker neuer Entzündungsreiz: Tauschen Sie deshalb z. B. sofort nach dem Schwimmen eine nasse gegen eine trockene Badehose aus, vermeiden Sie kalte Sitzgelegenheiten und Zugluft und sorgen Sie dafür, dass Sie keine kalten Füße bekommen.

Mechanische Reize minimieren. Auch starke mechanische Belastungen des Beckenbodens provozieren neue Entzündungen. Besonders ungünstig sind Radfahren und Reiten. Sie sollten zumindest in Zeiten von Beschwerden vollständig gemieden und auch nach Abklingen der Beschwerden nicht exzessiv betrieben werden. Bei immer wieder auftretenden Beschwerden sollten Sie ganz darauf verzichten.

Sexualtoilette. Häufige Masturbationen sind sinnvoll, um einen die Entzündung aufrechterhaltenden Sekretstau in den Samenleitern und der Samenblase zu verhindern. Beim Geschlechtsverkehr sind Kondome zu verwenden, um die Partnerin zu schützen.

Komplementärmedizin

Entsprechend der Vielfalt ärztlicher Behandlungsansätze bietet auch die Komplementärmedizin eine reiche Auswahl an Therapiemöglichkeiten. Alle hier genannten Behandlungen haben sich bei Betroffenen bewährt. Trotzdem sollten Sie in Ihren Erwartungen realistisch bleiben: Je länger Ihre Beschwerden bereits bestehen, desto weniger Erfolg versprechend werden die Behandlungsergebnisse sein. Im Einzelnen werden in der Fachliteratur empfohlen:

  • Biofeedback über eine Rektalsonde hilft, Ihr Gespür für Ihren Beckenboden zu verbessern. Über Lichtsignale kontrollieren Sie, ob Sie Ihren Beckenboden ausreichend anspannen bzw. entspannen, um ihn so schrittweise zu stärken.
  • Eine Akupunkturbehandlung, die auf die Punkte des Konzeptionsgefäßes am Unterbauch abgestimmt ist, lindert oft die Beschwerden.
  • Heiße Sitzbäder, eventuell mit Moorzusatz, lindern häufig die Beschwerden.
  • Weitere Therapien wie die manuelle Lockerung schmerzhafter Triggerpunkte sind erfolgversprechend.
  • Verschiedene Homöopathika beeinflussen einzelne Beschwerden, so Pulsatilla den häufigen Harndrang oder Clematis stechende Schmerzen in der Prostata.
  • Vor allem bei der entzündlichen Form wirken Enzyme wie Wobenzym® oder Phlogenzym®, wenn sie über mehrere Wochen eingenommen werden.